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Manuel Scorza und die Internationalisierung des Buchmarktes in Lateinamerika

Dunia Gras





Bevor in den 60er Jahren in Europa der überwältigende Erfolg der lateinamerikanischen Erzähler einsetzte, hatte es in Lateinamerika so gut wie gar kein Vertriebssystem für Bücher gegeben. Das heißt natürlich nicht, daß es nicht auch vereinzelte Versuche gegeben hätte, die Grenzen der jeweiligen nationalen Buchmärkte zu überwinden. Einer der frühesten Versuche, den spanisch-amerikanischen Buchmarkt zu internationalisieren, geht auf den peruanischen Dichter Manuel Scorza zurück, der später, wenn auch nur vorübergehend, durch sein erzählerisches Werk bekannt werden sollte1.

Mitte der 50er Jahre wurde sich Scorza als einer der ersten der Schwierigkeiten bei der Verbreitung des Buches als Kulturguts bewußt, und zwar zuerst in seinem eigenen Land, Peru. Doch schon bald übersah er das gesamte Ausmaß dieser Problematik, die im Prinzip den gesamten lateinamerikanischen Subkontinent erfaßte. Der Schriftsteller startete daraufhin eine bis dahin im Bereich der lateinamerikanischen Literatur noch nie dagewesene Verlagsinitiative. Im Laufe der Zeit erlaubte es ihm seine -im übrigen bedeutende und innovative- Tätigkeit als Verleger, oder vielmehr als äußerst begabter Vermittler zwischen Autor und Leser, sich eingehend mit den Mechanismen des Kulturmanagements in der Verlagsindustrie vertraut zu machen, die sich in jenen Jahren in einer umfassenden Neuordnungs- und Ausdehnungsphase befand. Diese praktische Verlagserfahrung sollte ihm in den 70er Jahren zustatten kommen, als er internationale Anerkennung als Erzähler suchte.

Nach siebenjährigem Exil während der Diktatur des Generals Odría kehrte Scorza 1956 gemeinsam mit anderen Schriftstellern und Intellektuellen mit dem Wunsch nach Peru zurück, sich wieder seiner schriftstellerischen Tätigkeit zu widmen. Viele Schriftsteller stießen nach ihrer Rückkehr auf große Schwierigkeiten bei der Veröffentlichung ihrer Werke, so daß sie den Verein Patronato del Libro Peruano gründeten, um gemeinsam die Veröffentlichung ihrer Werke zu ermöglichen. Was als ein einfacher Zusammenschluß von Freunden begonnen hatte, die alle vor den gleichen Problemen bei der Herausgabe ihrer Werke gestanden hatten, sollte sich schließlich zu einem äußerst erfolgreichen Unternehmen im kulturellen Bereich entwickeln, den Festivales del Libro (Bücherfesten), die von Manuel Scorza koordiniert wurden und bald die Aufnahmekapazitäten eines bis dahin völlig unterschätzten Lesepublikums an den Tag brachten. Die Initiative wurde massenhaft und begeistert vor allem von jenen breiten Bevölkerungsschichten aufgenommen, die erstmals das Lesen für sich entdeckten. In diesem Zusammenhang muß man den zeitlichen Zusammenfall dieses Verlagswerks mit einem bedeutenden Wirtschaftswachstum der lateinamerikanischen Staaten erwähnen, das einen erheblichen Einkommenszuwachs für die Bevölkerung mit sich brachte.

Im Dezember 1956 wurde mit der Reihe Primera Serie de Autores Peruanos (Erste Reihe peruanischer Autoren) das verlegerische Abenteuer der Festivales del Libro gestartet. Diese Kollektion umfaßte zehn grundlegende, d. h. klassische Werke der peruanischen Literatur, unter anderem die Werke des Inkas Garcilaso de la Vega, von Ricardo Palma, José Santos Chocano oder César Vallejo. Daraus erklärt sich wohl teilweise der überragende Erfolg, wie er sich im Ausverkauf des ersten Festival del Libro widerspiegelt, wobei es sich nur um eine -wenn auch bis dahin unvorstellbar hohe und sogar gewagte- Auflage von 10.000 Stück gehandelt hatte. Um zu verstehen, was diese Zahl im damaligen Verlagswesen bedeutete, lassen wir Scorza, aus dessen Ausführungen natürlich sein Engagement spricht, selbst zu Wort kommen:

Die normale Auflage eines spanischsprachigen Buches bewegt sich zwischen 5.000 und 10.000 Exemplaren, die in zwanzig Ländern vertrieben und verkauft werden. Von dieser Auflage erhofft man sich, etwa 100 Stück in Peru verkaufen zu können. Nun gut, wir haben in einem Land, in dem die Buchhändler bisher 100 Bücher pro Jahr verkauft haben, 100.000 Stück in einer Woche unter die Leute gebracht. Da reicht eine ganz einfache Rechnung aus, um zu ermitteln, welche Auflagen man in ganz Lateinamerika erzielen könnte2.



Das heißt also, daß die Organisation Festivales del Libro (bzw. der Patronato del Libro Peruano) es laut Scorza wagte, gleich von Anfang an jeweils die gleichen Stückzahlen aufzulegen, die man meinte, in einem Jahr im gesamten spanischen Sprachgebiet, also in Spanien und den zwanzig Ländern Spanisch-Amerikas, verkaufen zu können. Und diese Stückzahl stieg mit den folgenden Titeln der Reihe noch weiter an.

Dieser anfängliche Verlagserfolg ist sicher auch auf das Interesse Scorzas an den Strategien zur Verkaufsförderung zurückzuführen, die er anfangs eher intuitiv anwendete und die ihn schließlich eine unerhörte Entscheidung treffen ließen. Indem er die bereits vorhandenen Mechanismen des Buchvertriebs analysierte, kam Scorza nämlich zu dem einfachen Schluß, daß es darauf ankam, die bislang so gut wie nicht vorhandene Beziehung zwischen dem Buch und seinem potentiellen Leser zu verbessern, und daß diese Verbesserung in erster Linie im Bereich des Vertriebs stattfinden mußte. Es ging darum, das Buch dem potentiellen Lesepublikum nahezubringen, d. h. es aus den heiligen Hallen» der Buchhandlungen und Bibliotheken zu holen und auf die Straßen und Plätze zu bringen:

Ich habe mit Hunderten von Menschen in Fabriken, Cafés, Schulen und in ihren Häusern gesprochen. Allen habe ich dieselbe unverschämte Frage gestellt: Warum interessieren Sie sich nicht für Kultur? Warum hassen Sie Bücher? Und fast alle antworteten, daß die Bücher sehr teuer wären, und die einfachen Leute gaben zu, sich nicht in die Buchhandlungen hineinzutrauen. Es war ein Teufelskreis: Es wurden keine Bücher verlegt, weil es keine Leser gab, und es gab keine Leser, weil keine Bücher verlegt wurden. Da habe ich mir gedacht: Man muß das Buch auf die Straße holen, es in die Fabriken bringen. Die Buchhandlungen sind der einzige Ort, an dem man keine Bücher verkaufen kann, denn sie machen den meisten Leuten Angst3.



Es sah also ganz so aus, als ob der Weg zum Erfolg darin liegen würde, den einfachen Bevölkerungsschichten die Kultur wirklich nahezubringen.

Obwohl Scorza vor allem darauf drang, das Vertriebssystem für Bücher zu verbessern, ließ er auch andere wichtige Aspekte nicht außer acht, wie etwa die grafische Gestaltung der Reihe, deren Titel mit einem eindeutigen und allgemeinverständlichen Signet versehen waren: der Zeichnung eines aufgeschlagenen Buches, das den Willen zur Kommunikation ausdrückt und damit den Zugang des Lesers zur Kultur, also das erklärte Anliegen dieser Initiative symbolisierte.

Es bleibt allerdings festzuhalten, daß eine derartige vergleichbare Aufgabe nicht möglich gewesen wäre ohne die finanzielle Unterstützung von Unternehmen, die dazu beitrugen, die Herstellungskosten der auf bescheidenem Papier gedruckten und schlicht eingebundenen Ausgaben so weit wie möglich zu senken. Als Gegenleistung wurde Werbung für die als Mäzen auftretende Firma gemacht. Daher erschien auf der ersten Seite des Buches in der Regel eine Danksagung, die an die finanzielle Unterstützung erinnerte, die der jeweiligen Ausgabe seitens der am Projekt beteiligten Firmen zuteil geworden war. Das «Sponsoring» der Titel der Kollektion durch Banken, Erdölförderer, Brauereien oder Bergwerksgesellschaften ging in der Regel in Form einer Patenschaft vor sich, d. h. ein Unternehmen übernahm die Kosten der Veröffentlichung eines Titels. Auf der ersten Seite nach dem Titel war dann in der rechten unteren Ecke z. B. zu lesen:

Diese Ausgabe von [hier folgte der Titel des entsprechenden Buches, z. B. Los perros hambrientos (von Ciro Alegría)] kann dank der großzügigen Unterstützung von [der Name der Firma immer in Großbuchstaben, z. B. BACKUS & JOHNSTON'S BREWERY DEL PERÚ, S. A.] zum Preis von drei Sol verkauft werden.



Man sollte erwähnen, daß so gut wie gar keine Vertriebskosten anfielen, da die Bücher auf öffentlichen, zentral gelegenen Plätzen in Städten und Dörfern4 verkauft wurden, wie z. B. inmitten des «quirligen Lebens auf der Plaza San Martín in Lima, auf der die Menge den Verkäufern die Bücher regelrecht aus den Händen riß»5. Es wurden «Buchmessen» oder «Festivals» von bestimmter Dauer veranstaltet, für die zuvor ausgiebig geworben wurde, um das Publikum anzuziehen.

So war es möglich, die Bücher zum bescheidenen Stückpreis von drei Sol anbieten zu können (etwa 10 US-Cent nach damaligem Wechselkurs), einem durchaus leserfreundlichen Preis. Die sonst auf dem Buchmarkt üblichen sehr viel höheren Verkaufspreise erklärten sich, wie schon erwähnt, vor allem aus den höheren Herstellungs- und vor allem Vertriebskosten.

Auf der Liste von Scorzas Mitarbeitern fanden sich viele angesehene peruanische Intellektuelle. Hervorzuheben ist vor allem Sebastián Salazar Bondy, der für die jungen Intellektuellen der 50er Jahre als Leitfigur der Moderne galt6. Die Hauptaufgabe dieser Mitarbeiter war es, Vorworte und Einleitungen für die ausgewählten Bücher zu verfassen oder manchmal auch Anthologien einzelner Autoren zusammenzustellen. Sie sahen darin die beste Möglichkeit, dem selbstauferlegten Auftrag zur Volksbildung nachzukommen. Auch in der Auswahl der Titel spiegelt sich dieser Eifer der Kulturvermittlung wider, denn es handelte sich weiterhin um peruanische Autoren. Erst mit dem dritten Festival del Libro, das den Reihentitel Grandes Obras de América (Große Werke der amerikanischen Literatur) trug und im Dezember 1957 auf den Markt kam, änderte Manuel Scorza seine Verlegerstrategie: Zusammen mit den neuen Mitarbeitern Juan Mejía Baca und Pablo L. Villanueva brachte er im Verlag Ediciones Populares eine Reihe mit neuem Konzept auf den Markt. Diesmal wurden nicht nur grundlegende Werke der peruanischen Literatur aufgenommen, sondern auch Bücher von Schriftstellern anderer Länder Lateinamerikas, bei einer Auflage von 50.000 Stück ein durchaus gewagtes Unterfangen. Seitens der Intellektuellen wurde diese neue Initiative enthusiastisch gefeiert, wie der folgende Ausschnitt aus Sebastián Salazar Bondys Lobrede «Tres hombres y una misión cultural» (Drei Männer und eine kulturelle Mission) zeigt:

[...] und es handelt sich nicht um eine Verkaufskampagne, sondern vor allem um ein hier und auf dem Rest der südlichen Erdhalbkugel noch nie dagewesenes Werk zum Wohle der Allgemeinbildung breiter Bevölkerungsschichten. Gerade weil es, wie immer in solchen Fällen, nicht an Stimmen fehlen wird, die den Zweck dieses Kreuzzugs in Zweifel ziehen, muß gesagt werden, daß dieses Ziel trotz aller notwendigen finanziellen Anreize nicht ohne eine gehörige Portion bildungspolitischer Berufung, ohne einen einzigartigen missionarischen Geist verwirklicht werden könnte7.



Wir können uns anhand von Briefen, Verträgen und anderen Dokumenten ein Bild davon machen, wie die Werbekampagne anlief: vorrangig in der Presse, wo das Erscheinen der Titel vorangekündigt und deren moderater Preis hervorgehoben wurde. Oft war der Schriftsteller selbst in den Verkaufsständen anwesend, um die Bände zu signieren. Da Scorza besonderen Wert auf den direkten Kontakt zwischen Autor und Leser legte, bat er die Autoren um zahlreiche Fotos, die er dann in der Werbung einsetzte, um das Publikum mit dem Aussehen des Autors vertraut zu machen. Auf diese Weise gelang es ihm, die Beziehung zwischen Literatur und Wirklichkeit, die für einen großen Teil des Publikums sehr wichtig ist, zu fördern. Außerdem wurden oftmals mehrere renommierte Autoren zugleich eingeladen, um noch mehr mögliche Käufer anzuziehen und sie zum Erwerb der signierten Exemplare der Reihe anzuhalten. So bereitete Scorza z. B. die Rückkehr Ciro Alegrías aus dem langjährigen Exil gewissenhaft vor. Er verlegte dessen Ankunft um einige Tage vor, um seine Anwesenheit unter den anderen eingeladenen Autoren, wie Rómulo Gallegos oder Jorge Icaza, zu unterstreichen. Die Autoren sollten bei einer solchen Gelegenheit von ihrem Schaffen berichten, um ihr Werk dem Publikum und der Presse zu erschließen8.

Unter den in der Reihe Grandes Obras de América veröffentlichten Titeln finden sich, wie erwähnt, grundlegende, unverzichtbare Werke der spanisch-amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. In diesem Fall wurden Romane ausgewählt, die man im weitesten Sinne als regionalistisch geprägt bezeichnen könnte. So etwa Huasipungo von Jorge Icaza, Los de abajo von Mariano Azuela, Martín Fierro von José Hernández und Doña Bárbara von Rómulo Gallegos. Bei den Erzählungen nennen wir einen ihrer Meister, den Urugayer Horacio Quiroga mit seinen Cuentos de amor, de locura y de muerte. Außerdem ist die von Aníbal Quijano zusammengestellte Anthologie Los mejores cuentos americanos (Die besten amerikanischen Erzählungen) zu erwähnen, in der sich wahre Meisterstücke des Genres finden, wie Hombre de la esquina rosada von Jorge Luis Borges, Barranca Grande von Jorge Icaza, Las puertas del cielo von Julio Cortázar, Los gallinazos sin plumas von Julio Ramón Ribeyro, El trueno entre las hojas von Roa Bastos oder ¡Diles que no me maten! von Juan Rulfo.

Mit dem vierten Festival del Libro wurde im Juli 1958 die Reihe Grandes Obras de América fortgesetzt, allerdings mit einer nur halb so großen Auflage, 25.000 Stück, wohl wegen der wachsenden Konkurrenz auf dem Markt, denn viele andere Verlagsunternehmen waren demselben Muster gefolgt. Manuel Scorza stellte einige Jahre später fest:

Es gab einen regelrechten Boom. In einem Jahr waren nicht weniger als fünfzehn Verlage entstanden, die mehr als vier Millionen Bücher auf den Markt brachten. Darunter so sagenhafte Ausgaben wie die 750.000 Stück starke Auflage der Gesammelten Werke von José Carlos Mariátegui, die von seinen Kindern herausgegeben wurden. In einem Jahr wurden damals mehr als siebenmal so viele Bücher verlegt, wie es in der Nationalbibliothek gab9.



Immer noch ist vor allem die Prosa vertreten, wie mit Don Segundo Sombra des Argentiniers Ricardo Güiraldes, Cantaclaro des Venezolaners Rómulo Gallegos, El reino de este mundo des Kubaners Alejo Carpentier oder La vorágine des Kolumbianers José Eustasio Rivera. Wie man sieht, handelte es sich um bedeutende Vertreter des spanisch-amerikanischen Romans, auch wenn sie damals von der Kritik noch nicht in großem Maße beachtet wurden. In dieser Reihe wurden auch die 20 poemas de amor y una canción desperada zusammen mit den Alturas de Macchu Picchu von Pablo Neruda veröffentlicht. Hier lag die Auflage bei nur 25.000.

Doch leider war dieser verlegerischen Großtat, die ihrer Zeit weit voraus war, nur ein etwa einjähriger Erfolg beschieden. Unter den vielfältigen Gründen für diese kurze Blüte hebt Scorza selbst folgende hervor:

Es lag vor allem am Chauvinismus. Die meisten Verleger bestanden darauf, weiterhin nur peruanische Autoren zu verlegen, auch wenn sie dazu auf literarische Leichen zurückgreifen mußten. Es gab sogar Propagandaparolen gegen jene Verlage, die «von fremdem Geist durchdrungene Bücher» auf den Markt brachten. Auch die Zeitungen beteiligten sich an diesen Kampagnen. Auf der anderen Seite mußte ich dem Ansturm der Schriftsteller standhalten, die sich in einen Bürgerkrieg steigerten, weil sie dachten, ich hätte unter der Plaza San Martín Erdöl entdeckt. Selbst die Regierung mischte sich ein; natürlich stand sie auch nicht auf meiner Seite. In einer Reportage hatte ich mich unvorsichtigerweise damit gebrüstet, mehr Bücher veröffentlicht zu haben als alle Regierungen zusammen. Der Bildungsminister persönlich, der Historiker Jorge Basadre, hatte als Erstunterzeichner seinen Namen unter ein Manifest gegen die Festivales del Libro gesetzt, in dem «im Namen der Freiheit» verkündet wurde, es handele sich dabei um ein verhängnisvolles Monopol10.



Scorza entschließt sich wohl vor allem deshalb, eine neue Verlagsorganisation zu gründen und seine Idee in andere Länder Lateinamerikas zu exportieren. Als internationaler Leiter dieses neuen Unternehmens sollte er dann die in verschiedenen Ländern ins Leben gerufenen einzelstaatlichen Initiativen koordinieren und die jeweiligen nationalen Direktoren zu deren Überwachung einsetzen. Trotzdem ging die Gesamtherstellung unter dem Namen Organización Continental de los Festivales del Libro (ORCOFELI) weiterhin in den Werkstätten in Lima vor sich. Wegen seines Umfangs wurde das Gesamtprojekt einmal als «einer der großen Augenblicke in der Geschichte des Buches in Lateinamerika» bezeichnet11, der den Bemühungen der 60er Jahre, die lateinamerikanische Literatur international bekannt zu machen, vorausging. Zwischen 1958 und 1960 brachte Scorza in Venezuela vier Reihen auf den Markt, die von dem Dichter (und späteren Direktor des Verlags Monte Ávila) Juan Liscano koordiniert wurden. Zum Direktor der zwei 1960 in Kolumbien veröffentlichten Reihen ernannte er den Erzähler Eduardo Caballero Calderón. Und 1958/59 war Alejo Carpentier in Kuba sein Teilhaber.

Der Erfolg dieser Festivales Continentales del Libro ließ ihr weiteres Schicksal keinesfalls erahnen. Lange Jahre hindurch hielt Scorza die Gründe für den finanziellen Niedergang geheim, vielleicht wegen seines starken politischen Engagements, doch im Jahre 1968 legte er schließlich offen, wie es zum Scheitern dieses so erfolgreichen Unternehmens gekommen war und wie auch sein neues Verlagsprojekt Bolsilibros schon im Keim erstickt wurde:

Ich spreche dies jetzt zum ersten Mal öffentlich aus. Wir brachten unser gesamtes Kapital nach Kuba, doch dann brach die bekannte Krise aus: Die Anhänger Batistas flohen aus dem Land und nahmen alles Geld mit, und die Regierung verbot die Ausfuhr von Dollars. Unsere Konten wurden gesperrt. Der peruanischen Regierung war sehr daran gelegen, etwas gegen Kuba in der Hand zu haben, und sie bot mir ihre diplomatische Intervention an. Ich sprach dann mit Guevara, der damals Industrieminister war, und er sagte mir: «Kuba hat nicht einmal genug, um Penicillin für die Kinder zu kaufen; du mußt dir aussuchen, ob du als Verleger oder als Schriftsteller weitermachen willst». Nun ja, ich kam nur mit dem Hemd auf dem Leib nach Lima zurück. Und das Schlimmste daran war, daß auch die Urheberrechte zahlreicher Schriftsteller verlorengingen, die niemals erfahren haben, daß wir nicht einmal mehr Geld für Briefmarken hatten12.



Diese Schwierigkeiten hätten wahrscheinlich nicht das Aus für die gesamte Verlagstätigkeit bedeuten müssen, wenn das Unternehmen nicht so sehr von Scorzas persönlichen Beziehungen abhängig gewesen wäre und über einen weniger beschränkten Finanzrahmen verfügt hätte. So ging paradoxerweise das «ungeheure Experiment» Manuel Scorzas, wie es einige nannten, zu Ende, eine vier Jahre andauernde Verlagsaktivität (1956-1960), die ihren Anfang in Peru genommen hatte, um sich dann auf andere lateinamerikanische Staaten auszuweiten, und die deutlich gemacht hatte, wie notwendig ein verstärkter kultureller Austausch für die spanischsprachigen Länder Lateinamerikas war. Im nachfolgenden Jahrzehnt bewiesen die neu entstandenen Verlage dann, daß die Förderung des Kulturaustauschs vor allem von einer Verbesserung der Vertriebsnetze für Bücher abhing. Das «Scorza-Wunder», wie es Alejo Carpentier einmal nannte, hatte nicht nur die Fähigkeiten des Initiators als literarischen Vermittlers und Kulturförderers und sein Gespür für die Vorlieben und die Bedürfnisse des Publikums unter Beweis gestellt, sondern auch neue Wege in der Kommunikation zwischen dem Schriftsteller und seinem Publikum aufgezeigt und nicht zuletzt unzweifelhaft Hunderte, wenn nicht Tausende neuer Leser gewonnen, die von den erschwinglichen Buchpreisen profitiert hatten.

Die Festivales del Libro wurden so zu einem der großen Augenblicke in der Geschichte des Buches in Lateinamerika vor dem Durchbruch mit dem bekannten Boom, und sie bewiesen die Rentabilität des Verlagsgeschäfts in Lateinamerika, auch wenn die angesammelten Schulden oft ihr größtes «Kapital» waren und sie letztendlich an der Größe der Aufgabe scheitern mußten.





 
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